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Wohnmobiltour durch Nordfrankreich Teil 8: Normandie wir kommen

mit dem Wohnmobil an die Alabaster der Normandie in Frankreich

Heute verlassen wir Nord-Pas de Calais. Unser Ziel ist die Normandie und die schroffe „Cóte d’Albâtre“, die Alabasterküste, an der die Wellen des Ärmelkanals unablässig knabbern. Auf dieser Etappe erleben wir gefühlt stündlich einen Wetterwechel. Sunshine Reggae – Blowing in the wind – sunny – it’s raining man – here comes the sun – don’t blame it on the sunshine – gone with the wind – liebe liebe Sonne. Das sind die Songs, deren Melodien wir passend zum meterologischen Auf und Ab vor uns hin summen.

Mit der Standseilbahn in Le Tréport die Klippen hinab zum Meer

Unsere Route führt uns nach Le Tréport, das als „Seepforte der Normandie“ bezeichnet wird und das ein außergewöhnliches Transportmittel zu bieten hat. Wer Lust auf Wandern hat, kann sich hier auf dem 60 bis 120 Meter hoch auf den Felsen gelegenen Fernwanderweg GR 21 auf den Weg machen.

Unser Wohnmobil parken wir auf einem der beiden betonierten Stellplätze. Normalerweise muss man für einen dieser heute ziemlich unwirtlichen, weil windigen, Plätze um die 6 Euro Gebühr an einem Automaten bezahlen und kann dann bis zu 48 Stunden auf der betonierten Fläche stehen. Wir verzichten auf eigenes Risiko auf ein Parkticket, da wir nur kurz hier verweilen möchten.

Die Klippen fallen hier sehr steil hinab als ich die Felskante hinab blicke. Die über 350 Stufen der „Escaliers de la Falaise“ möchten wir ungerne ab- und noch viel weniger hochsteigen. Das ist auch nicht nötig. Wir sind heute mal faul.

Fahrt mit dem Funicular Schrägaufzug Standseilbahn in Le Tréport, Normandie in Frankreich

Dank des ehemaligen (leider im 2. Weltkrieg zerstörten) auf den Klippen gelegenen Grand Hôtels Le Trianon wurde im Jahr 1906 der „Funicluar„, eine Standseilbahn bzw. ein Schrägaufzug, in Betrieb genommen, der die 62 Meter hohen Klippen im ruhigen Tempo befährt. Nach einigen technischen und finanziellen Schwierigkeiten und der damit einhergehenden Stilllegung, bewegt der Funicular seit 2005 oder 2006 wieder regelmäßig Gäste und damit erfreulicherweise heute auch uns.

Wir befinden uns glücklicherweise im Zeitalter des funktionstüchtigen Funiculars und wollen in den Schrägaufzug bzw. in die Standseilbahn steigen und so ganz bequem einen Abstecher die spektakulären Kalkklippen hinunter zum Meer und dem normannischen Küstenort unternehmen.

Blick auf Le Tréport in Frankreich

Zum Glück müssen wir an der verglasten Bergstation nicht lange auf eine der insgesamt vier Télécabines warten. Zuerst geht es circa 60 Meter durch einen Tunnel bis wir dann wieder ans Tageslicht gelangen. Ein bisschen mulmig wird mir dabei schon. Aber auf die Technik ist Verlass.

Wohlbehalten kommen wir nach der nur 120 Meter kurzen Fahrt unten an und laufen durch ein Gässchen, durchqueren einen riesigen weniger schönen Häuserriegel bis wir am Meer ankommen. Am Kieselstrand picknicken zahlreiche Familien. Einige halten ein Nickerchen. Andere haben eines der Strandhäusschen gemietet und machen es sich darin bei geöffneten Türen mit Decken auf dem Schoß gemütlich. Ein paar Frauen sind zum Meer hinunter gelaufen um die Füße mal ins Wasser zu stecken und werden von den kräftigen Wellen überrascht. Kreisch, jauchz! Schnell wird ein Foto der bis zu den Knien nassen Frauen geschossen. Große weiss-hellgraue Möwen kreisen nach etwas Essbarem Ausschau haltend umher.

Kieselstrand von Le Tréport in der Normandie, Franreich

Wir spazieren auf dem Holzsteg parallel zum Meer entlang. Unsere Kleine entdeckt ihre Leidenschaft fürs Steine auflesen und werfen. Mindestens ein Dutzend Steine wechseln auf diese Weise ihren Standort vom Strand in den im Ärmelkanal. Wir gehen nicht bis zum Leuchtturm, obwohl ich diese so gerne mag, sondern fahren wieder hinauf. Denn ein Kanal unterbricht den Weg zum Leuchtturm. Dieses Mal müssen wir etwas warten, weil ein paar Jungs die glorreiche Idee haben, ihre Räder in den Kabinen zu transportieren. Das ist natürlich genau genommen nicht gestattet. Irgendwann öffnen und schließen sich auch für uns wieder mit einem leisen „piep, piep, piep“ die Kabinentüren und wir bewegen uns die Klippen hinauf.

Glück gehabt! Wir haben keinen Gruß von der Gendarmerie an der Windschutzscheibe zu kleben und fahren weiter die Alabasterküste entlang. Gerne würden wir in den zahlreichen Küstenorten Halt machen. Aber leider ist das Parken für Wohnmobile dort nicht so einfach. Doch wir werden noch auf unsere Kosten kommen…

Mit dem Wohnmobil nach Veules-les-roses in der Normandie, Frankreich, Galerie

Unser Wohnmobil-Stellplatz in Veules-les-Roses

Nein, ich stelle mit „Veules-les-Roses“ kein neues französisches Parfum vor. Obwohl der Name wirklich sehr danach klingen mag. Der Ortsname hat einen anderen Hintergrund. Die Veules ist mit 1.194 Metern der kürzeste Fluss Frankreichs, der ins Meer mündet. Und die Rosen ranken und duften an den schmucken Hausfassaden um die Wette. Wir sind d’accord, dass dieser Ort als einer der schönsten Orte Frankreichs bekannt ist.

Doch bevor wir uns in diesem traumhaften Örtchen per Pedes fortbewegen, müssen wir zuerst unser Gefährt sicher und legal unterbringen. Oberhalb der Ortes und direkt an den Klippen finden wir auch den idealen Stellplatz: Eine große Wiese an dessen Rändern sich locker an die 70 Wohnmobile reihen könnten. Nur eine meterhohe dichte Hecke trennt die Wohnmobile von der Felskante. Heute sind vielleicht zwei Dutzend hier untergekommen. Eine Möglichkeit für Ver- und Entsorgung für das Zu- und Abwasser gibt es hier nicht, aber wenigstens kann Müll entsorgt werden (schlimm wie viel Müll sich im Laufe eines Reisetages ansammelt).

Um vom Stellplatz in den malerischen Ort zu gelangen, laufen wir den eingezäumten Weg entlang, der zu Beginn und am Ende durch einen großen Stein die Zufahrt für Autos oder Motorräder versperrt, und gehen weiter bis zu einem kleinen Wäldchen. Rechts ist ein „Parcours Santé“ (Gesundheitspfad) mit zahlreichen Sportgeräten aus Holz aufgebaut. Genau das richtige für unsere Mädels, die nach Bewegung lechzen.

Gleich links oben an der Meerseite wagen wir uns in einen begehbaren dreckigen Bunker aus dessen Schlitzen wir ins Blaue gucken. Graffiti zieren die Wände, Müll in den Ecken. Unsere Kinder gruseln sich und wollen wieder schnell hinaus. Eine Treppe führt auf den Bunker hinauf von dessen Geländer wir den so ausgeschilderten „Belvédère du Point d’Interrogation„, einen schönen Ausblick auf die Küste, genießen.

Oh là là, was sehen die sehnsuchtsvollen Augen unserer Kinder denn da? Als wir durch den kleinen Hain die Klippen hinab zum Ort laufen, eröffnet sich uns nicht nur ein tolles Panorama auf die Küste von Veules-les-Roses, sondern auch der Blick auf zwei öffentliche Spielplätze sowie ein Planschbecken, die direkt hinter dem Kieselstrand liegen. Wollen wir da hin? Quiiiiii!!!! Die Kinder haben akuten Spielplatzbedarf.
Drachensteigen am Strand von Veules-les-Roses

Der rote Drachen, den wir in Saint-Valery Sur Somme gekauft haben, steigt in Windeseile in den blauen Himmel hinauf. Vater und unsere erstgeborene Tochter testen am Kieselstrand die Flugfähigkeiten ihres neuen gemeinsamen Spielzeugs während die Kleine und ich das Spielplatzboot steuern. Für die Plansche ist es heute an der Küste leider zu windig.
Vielleicht mache ich morgen früh hier Qi Gong am Strand? Laut eines Plakats gibt es hier in den Sommermonaten Juli und August auf jeden Fall die Möglichkeit dazu.

Villa in Veules-Les-Roses, Normandie Frankreich

Spaziergang durchs Dornrösschendorf

2,40 Euro kostet uns die reich an Proteinen, Vitaminen und Spurenelemente Vorspeise, die ich für uns heute am Meer kaufe. Frische Austern scheppern in der Plastiktüte gegeneinander während wir noch ein wenig durch den Ort und vorbei an seinen schmucken Dornrösschen-Villen und den zahlreichen Galerien ziehen. Den schmalen Fluss, Veules, entdecken wir in einer Seitenstraße. Würde der Fluss nicht so rasch fließen, würde ich ihn für einen Bach halten, so unscheinbar wirkt er hier. Eine alte Mühle und ein Hochwasserschild sind zu sehen. Vor einigen Jahren müssen die nah am Fluss liegenden Häuser teilweise unter Wasser gestanden haben.

Damit unsere Austern frisch bleiben, machen wir uns auf den Rückweg zu unserem Wohnmobil. Und kommen sogleich an der Bäckerei „Boulongerie des Tourelles“ in der Rue du D’Pierre Girard Nummer 3 (gegenüber der Kirche „Eglise Saint Martin“) vorbei. Sie hat täglich ohne Unterbrechung, wie sie auf dem Türschild verspricht, von 7 bis 19.30 Uhr geöffnet. Das ist ja super zu wissen fürs Frühstück morgen früh! In dem kleinen Laden „Epidemie de la Plage“ gleich schräg gegenüber, in der Rue Jean Lamy, gibt es alles was für unser Frühstück für den nächsten Morgen nötig ist.  Hinter der Kirche Saint-Martin ist der Place des Ecossais. Laut der Informationstafel fand zu Zeiten von Louis XIV. noch ein Markt statt. Heute zeigt in dem ehemaligen Kornlager „salle anaïs aubert“ das Kino „Le Rex“ Mainstream Filme wie „ICE Age“, „Independence Day“ und „Pets“. Französische Filme würden besser zum Ambiente passen, finde ich. Zur Freude unserer Tochter befindet sich parallel zu dem Gebäude eine saubere öffentliche Toilette. Sehr praktisch für Wohnmobilisten wie unsereins.

Spaziergang durch Veules-les-Roses, Normandie, Frankreich

Die Austern werden mit der feststellbaren Klinge von einer der zahlreichen Taschenmesser meines Mannes geöffnet. Die Delikatesse mundet unseren Kindern nicht. Der Gesichtsausdruck spricht für sich. Aber sie haben die Muscheln mit einem Zitronenspritzer immerhin probiert. Auch mein Mann und ich sind nicht so erpicht darauf, noch mehr von den Austern zu essen.

Nach dem Abendessen stürmt und regnet es draußen vor unserer Wohnmobiltür. Am Himmel zeichnet sich kurze Zeit später ein toller Regenbogen ab. Das lockt uns. Schließlich könnten wir ja einen Schatz an der Stelle finden, wo der Regenbogen endet, nicht wahr? Wir gehen, in Softshelljacken verpackt, also nochmal raus und drehen eine Runde durch Veules-les-Roses. Vielleicht wächst ja am Ende des Regenbogens die schönste Rose Frankreichs?
Kieselstrand von Le Tréport in der Normandie, Franreich

Adressen und weitere Informationen

Camping und Freizeit

Womo-Stellplatz Le Tréport
GPS: N 50° 03′ 29.3″ E 1° 21′ 52.4
Ausstattung: Ver- und Entsorgung, Mülleimer
Gebühr: 6 Euro für 48 Stunden

Standseilbahn von Le Tréport
Transport ist kostenlos
Montag bis Donnerstag und Sonntag: 7.30 bis 20.45 Uhr
Samstag: 7.30 bis 0.45 Uhr
Juli und August: bis 2 Uhr

Womo-Stellplatz Veules-les-Roses
GPS: N 49° 52′ 30,0″ E 0° 47′ 31.7″
gebührenfrei

Reise- und Etappenführer für Wohnmobilreisen

„Mit dem Wohnmobil durch die Normandie“ (Womo-Reihe), Taschenbuch

„DuMont direkt Reiseführer Normandie“, Taschenbuch,

„Mit dem Wohnmobil nach Nordfrankreich“ (Womo-Reihe), Taschenbuch,

„Tourenführer Frankreichs Norden mit dem Wohnmobil“,

ADAC Campingführer Südeuropa mit herausnehmbarer Planungskarte

ADAC Stellplatzführer Deutschland/Europa mit zwei herausnehmbaren Planungskarten

Etappenführer France Passion

Wohnmobiltour durch Nordfrankreich Teil 9: Les Falaises in Étretat, über die Seine und dann nach Calvados in der Basse Normandie

Mit dem Wohnmobil zu Les Falaises in Etretat

Nach einer stürmischen Nacht, die wir in unserem Wohnmobil auf den Kalksteinklippen oberhalb des hübschen Orts Veules-les-Roses in der Haute Normandie (oberen Normandie) verbracht haben, fahren wir zur Basse Normandie (untere Normandie). Um dorthin zu gelangen, fahren wir weiter die Küstenstraße der Côte d’Albátre (Alabasterküste) entlang und streifen ihre hübschen Städtchen Saint-Valery-en-Caux, Sassetot-le-Mauconduit und Fécamp. Am liebsten würden mein Mann und ich überall anhalten und uns jedes Örtchen ansehen. Doch leider sind die französischen Dörfer nicht unbedingt auf große Wohnmobile eingerichtet. Für längere Spaziergänge von einem Parkplatz in den Ort haben wir leider nicht die nötige Zeit. Wir haben nämlich das Ziel in unserem Urlaub noch bis zum Utah Beach zu kommen und dort ein paar Tage zu verweilen. So ist das halt im Urlaub. Auch mit einem Wohnmobil mit dem wir ansonsten ja sehr flexibel sind. Aber eine Entscheidung gegen einen Ort bedeutet gleichzeitig auch ein Ja für einen anderen Ort!

Die Route auf der Landstraße ist traumhaft. Wir überholen ein Paar, das mit Packtaschen auf einem Tandem unterwegs ist. Chapeau! Unsere Kleine ist quengelig und findet während der Fahrt leider nicht in ihren üblichen Vormittagsschlaf. Seltsam. Hoffentlich ist da nichts im Busch. Wenn sie nicht schläft wird unser Besuch eines Orts im Département Seine-Maritime, der für seine majestätischen Kalksteinfelsnadeln berühmt ist, kein großes Vergnügen.

Felsnadeln in der Normandie, Frankreich

Stop-Over in Sissis Seebad

In Étretat, wo im August und September 1875 die österreische Kaiserin Sissi badete, machen wir Halt. Für Wohnmobile und PKWs gibt es oberhalb des Seebads an einem alten Bahnhof einen Parkplatz. Wunderbar, für drei Euro können wir einen Tag hier stehen.

Die müde Kleine wird auf den Schultern, vorbei an einem kleinen Soldaten- und Zivilistenfriedhof mit zahlreichen kanadischen Grabsteinen, in den Ort vom Papa hinunter getragen. Teilweise mittelalterlich wirkende Häuser sowie weitere historische Fachwerkhäuser säumen die Straße. Je näher wir dem Zentrum kommen, desto voller wird es. Am Marché Couvert, wo in einer schönen alten Markthalle allerlei Nippes feil geboten wird, tobt fast schon der touristische Mob. Wir essen hier leckere Fritten mit einer fantastischen leicht scharfen Mayonnaisse Sauce und Eis zum Mittagessen.

Mittelalterliche Häuser in Etretat, Normandie

Auf der Promenade am Meer sprüht uns die Gischt entgegen und weht unsere letzten Frittenkrümel vom Hemd. Die Restaurants schützen ihre Gäste mit Glasscheiben vor dem Sprühnebel. Wir können uns entscheiden, ob wir entweder links zum 83 Meter hohen berühmten Kalkbogen „Falaise d’Aval“ oder rechts zum pfeilartigen Denkmal und der beiden Flugpioniere Charles Nungesser und Francios Coli (sie sind hier am 8.5.1927 bei ihrem Versuch der ersten Nordatlantiküberquerung das letzte Mal gesichtet worden…) gehen.

 

Wir entscheiden uns für die Felsen. Oben angelangt, genießen wir den fantastischen Panoramaausblick auf die Felsnadel und die Bucht von Étretat. Hinter uns liegt an Land ein grandios gelegener Golfplatz. Unsere sechsjährige Tochter hüpft wie eine junge Geis die Pfade entlang bis es nicht mehr weiter geht. Unsere zweijährige Tochter ist missmutig, weil sie ihren Mittagsschlaf verpasst hat, lässt sich aber von ihrem Papa doch motivieren den Fernwanderweg GR 21 hinauf zu steigen damit sie gemeinsam mit ihrer Schwester durch ein Felsloch gucken kann.

mit dem Wohnmobil nach Etretat in Frankreich, Promenade

Open Air Lesestube

Der Abstieg ist dann kein Problem mehr. Unten an der Promenade werden in einer Minibibliothek (französische) Bücher zum Lesen am Strand oder in den bereit gestellten Liegen angeboten. Tolle Idee, aber französische Bücher sind uns jetzt zu anstrengend. Deshalb lesen wir stattdessen die englischen Texte der Informationstafeln, die an dem ehemaligen Bunker und den Bootshäusschen angebracht sind. Die Texte verraten, dass an der Bucht früher herrschaftliche Hotels standen, die traurigerweise dem Atlantikwall weichen mussten. Rommel ließ sie zur Zeit des 2. Weltkriegs abreißen, um aus den 19 errichteten Bunkern freie Sicht und Schuss aufs Meer zu haben. Am Strand der Bucht wurden sage und schreibe 1.500 Minen vergraben. Ein Wahnsinn. Unfassbar.

Wir brauchen Bass, Bass, Basse Normandie

Alle angeschnallt? Es geht weeeeiteeeer in südliche Richtung von der Haute Normandie über die Hafenstadt mit Weltkulturerbestatus, Le Havre, in die Basse Normandie. Um dorthin hin zu gelangen, fahren wir einmal unfreiwillig am Fußballstadion von Le Havre vorbei, weil wir uns verfahren. Das Stadion sieht, wenn man es böswillig ausdrücken möchte, aus, als wenn es in eine blaue Mülltüte verpackt wurde.

Mit dem Wohnmobil über die Pont de Normandie, in Frankreich bei Le Havre

Mit dem Wohnmobil im Schneckentempo über Europas längste Schrägseilbrücke

Wir kommen wieder auf die richtige Spur und überqueren wir die spektakuläre Schrägseilbrücke „Pont de Normandie“, die sich in einem 856 Meter langen großen Bogen schwungvoll über die Seine spannt. Unser Wohnmobil nimmt Anlauf. Mit 90 Kilometer pro Stunde fahren wir die mutpflichtige Brücke hinauf. Doch je steiler es wird, desto mehr muss sich unser Wohnmobil anstrengen: 80, 70, 60, 50 und am Ende schleichen wir uns mit 40 Kilometern pro Stunde die Brücke hinauf. Zum Glück schaffen wir es dennoch ohne Schieben über die Seine. Oben angekommen zeichnet sich links und rechts der Brücke ein sehr gegensätzliches Bild ab. Einerseits scheint hier die Erdölverarbeitung angesiedelt zu sein und andererseits beginnt hier der „Parc Régional de Brotonne“, das sich fast bis nach Rouen erstreckt. Interessante Kombination.

mit dem Wohnmobil durch die Normandie

Auf der Suche nach einem Stellplatz in der Calvados Region

Wir sind uns heute noch nicht sicher, wo wir über Nacht stehen möchten. In Deauville, das Seebad der Reichen und Schönen, suchen wir einen Stellplatz und als wir ihn finden, ist er bereits voll. Er ist für die Größe des Orts auch viel zu klein. Wir fahren weiter. Dann übernachten wir eben auf einen Campingplatz. Aber der nächste ist leider weiter weg.

Zum Glück haben wir neben dem ADAC Campingplatz Führer auch noch den aktuellen Guide von France Passion dabei. In der Broschüre sind zahlreiche Bauernhöfe und Winzer und Wohnmobilfreunde in ganz Frankreich aufgelistet, die Campern für 24 Stunden einen kostenlosen Stellplatz bieten und ihnen Produkte aus eigener Herstellung anbieten. Der Handel ist keine Bedingung. Es bietet sich aber natürlich an, dass man Wein, Saft, Käse, Eier, Marmelade und andere Leckereien direkt beim Erzeuger ersteht. Authentische Mitbringsel für die Lieben daheimgebliebenen Freunde und Verwandten und auch für sich selbst sind somit auch gleich erledigt. Während unserer Südfrankreich Wohnmobiltour 2015 konnten wir mit dieser Art des Reisens sehr schöne und persönliche Erfahrungen sammeln. Ich blättere also fieberhaft in dem bilingualen Etappenführer nach einem netten Gastgeber herum. Bald finde ich wir eine Calvados Destillerie, die näher an unserer heutigen Route als der Campingplatz liegt. Très bien!

Wohnmobil-Stellplatz auf dem Hof einer Calvados Destillerie in der Normandie, FRankreich

Im Land wo Cidre und Calvados fließen

Wir tuckern frohen Mutes durch die Basse Normandie. Kühe der Rasse Pie Normande liegen im fetten grünen Gras. Jagdvögel ruhen sich auf Zaunlatten sitzend aus. Hunderte knorrige Apfelbäume tragen kleine Äpfelchen unterschiedlichster Colour an ihren Ästen. Die Region ist berühmt für ihren Calvados und Cidre, das können wir jetzt erahnen und hoffen in wenigen Minuten selbige auch probieren zu können.

Nach 220 Tageskilometern erreichen wir am frühen Abend den idyllischen Hof von Madames und Monsieur Desvoye in Beaufour Druval. Ein Hund begrüßt uns freundlich. Madame zeigt uns den Stellplatz für Reisende. Dort, wo normalerweise die Kühe sauber gespritzt werden, dürfen wir heute Nacht bleiben. D’accord.

Die jungen Kühe grasen uns gegenüber auf einer satt grünen Wiese. In der Scheune kaufen wir ein paar Flaschen Apfelsaft für die Kinder und Cidre für uns. Den Buddelkasten und die Schaukel der Enkelkinder dürfen unsere Mädchen gerne benutzen. Auch ein WC steht Gästen zur Verfügung. Unser Frischwasser können wir ebenfalls auftanken. Wir sind happy so freundliche Gastgeber gefunden zu haben.

 

Adressen und weitere Informationen

Pont de Normandie
Mautgebühr: 6,30 Euro

www.pontsnormandietancarville.fr

Étretat

www.etretat.net

Stellplatz Cave Desvoye
Chemin de la Cour Aux Gris
à saint-Aubin-Lébizay
14340 BEAUFOUR-DRUVAL
Tel/Fax : 02 31 65 11 94
GPS: N 49.20779 W 0.00908

Öffnungszeiten:
täglich von 9-12.30 Uhr, 14-19 Uhr

www.cidre-calvados-desvoye.fr

Reise- und Etappenführer für Wohnmobilreisen

„Mit dem Wohnmobil durch die Normandie“ (Womo-Reihe), Taschenbuch

„DuMont direkt Reiseführer Normandie“, Taschenbuch,

„Mit dem Wohnmobil nach Nordfrankreich“ (Womo-Reihe), Taschenbuch,

„Tourenführer Frankreichs Norden mit dem Wohnmobil“,

ADAC Campingführer Südeuropa mit herausnehmbarer Planungskarte

ADAC Stellplatzführer Deutschland/Europa mit zwei herausnehmbaren Planungskarten

Etappenführer France Passion

Wohnmobiltour durch Nordfrankreich Teil 10: Utah Beach, unser westlichstes Etappenziel

mit dem Wohnmobiltour zum Utah Beach in Frankreich

Au revoir, le chien! A bientôt, la vache! Wir verabschieden uns vom malerischen Bauernhof und der Calvados und Cidre Destillerie. Auf geht’s hoch zum Küstenabschnitt Utah Beach im Département Manche. Dies soll die westlichste Etappe unserer Wohnmobiltour durch Nordfrankreich sein. Anschließend werden wir uns gemütlich auf den Rückweg in Richtung der Somme Region und Pas de Calais machen. Dort warten ja auch noch einige schöne Etappenziele auf uns, an denen wir auf dem Hinweg nicht gehalten haben.

mit dem Wohnmobil auf der Tour de France Strecke unterwegs

Touristische Highlights: Tour de France und 2. Weltkrieg

Wir durchfahren in der Haute Normandie viele kleine Orte, in denen bunte Plakate sowie oben an Laternen aufgehängte Fahrräder an die Tour de France 2016 erinnern, die auch hier entlang führte. Auch einige kleine Museen zum Thema des 2. Weltkriegs machen hier auf sich aufmerksam. Bereits im Supermarkt, wo wir uns eben mit Lebensmitteln fürs Abendessen eingedeckt hatten, türmten sich Hunderte von Flyern in einem Display, die sich alle um ein Thema drehen: Krieg. Am Ende des Beitrags habe ich einige Museen aufgeführt.

Wir rollen auf die lange Bucht, dem ehemaligen Atlantikwall, zu. Eine wenig befahrene Promenadenstraße mit schmalem Gehweg säumt die Küstenmauer. Zwischen den Dünen befinden sich hier nur vereinzelte Häuser mit Blick aufs Meer. Es ist eher ländlich ruhig hier.

Invasion im 2. Weltkrieg am Utah Beach

72 Jahre vor unserer Ankunft war es hier allerdings nicht so ruhig und idyllisch. Am berühmten D-Day, den 6. Juni 1944, kamen um kurz nach Mitternacht die ersten amerikanischen Soldaten in Frankreich an und leiteten damit eine der größten Militäroperationen der Geschichte ein, von der damals niemand sicher sein konnte, dass sie gelingen würde. Wir alle kennen die dramatischen Szenen, die sich hier an der normannischen Küste abspielten aus Filmen, wie etwa „Der Soldat James Ryan“. All das geht mir im Kopf herum, als wir am Gold und Omaha Beach vorbei und dann auf Utah Beach zu rollen.

An der Küstenlinie erinnern noch zahlreiche Bunker, Denkmäler sowie im Landesinneren mehrere Soldatenfriedhöfe und an die 30 Museen an die erfolgreiche Invasion vor 72 Jahren. Wenn das alles nicht wäre, würden wir uns das Blutvergießen, das hier stattgefunden hat, noch viel weniger vorstellen können. Die Sonne lacht als gäbe es kein Gestern und der Himmel ist von einem leuchtenden Blau, dass es in den Augen brennt. Badewetter!

mit dem Wohnmobil zum Campingplatz Le Comoran in Frankreich, Utah Beach

Campingplatz Le Cormoran

Circa 110 Kilometer von unserer letzten Etappe entfernt kommen wir in Ravenoville an. Gegenüber der Inseln „Iles St. Marcouf“ biegen wir bei der US-amerikanischen, der französischen, britischen und anderen Länderfahnen zum Campingplatz Le Cormoran links ein.

Zwischen Palmen und Hecken stellen wir uns wieder quer. „Bonjour“. Links von uns steht ein französisches Paar mit ihrem Wohnmobil. „Hello“. Rechts von uns campieren zwei Söhne und ihr Vater aus England. Freundlich werden wir von unseren Nachbarn zurück gegrüßt. Der Campingplatz ist trotz seiner Symmetrie ganz hübsch angelegt und sehr grün.

Es gibt eine Bar und nebenan einen kleinen Supermarkt, der morgens frische Baguettes, Brot und Croissants und sogar die Süddeutsche Zeitung verkauft. Ansonsten hält er auch einige weitere Alltagslebensmittel bereit, mehr aber auch nicht.
Zur Freude der Kinder gibt es Tretautos sowie drei große Hüpfburgen und zwei Trampoline. Außerdem Billard Golf, einen Fitness Parcours, einen überdachten Pool sowie ein Freiluftschwimmbecken. Irgendwo müssen sich noch eine Sauna sowie ein Tennisplatz befinden. Die für die Region typischen Mobile Homes stehen hier auch herum. Außerdem werden Aqua Fitness und Bastel- und seltsamerweise Sportschießkurse mit Luftdruckgewehren angeboten. Auf letzteres verzichten wir gerne. Das Sanitärgebäude ist sehr sauber und es gibt auch eine Badewanne für Babies und Kleinkinder.

Ziegengehege auf dem Campingplatz Le Comoran in Frankreich, Utah Beach

Tierische Nachbarn

„Mäh!“ Was begrüßt uns denn nun? Hinter unserem Stellplatz, nur knapp 30 Zentimeter hinter der Hecke, befindet sich ein Ziegengehege. Daneben gibt es noch eine Pferdekoppel, die allerdings von lauter Pferdeäpfeln nur so strotzt. Natürlich werden die kleinen Ziegen ersten einmal von unseren Kindern ausgiebig mit Gras verköstigt während wir die Badetasche klar machen. Die Kinder haben sich einen Sprung in den überdachten Pool oder ins Freiluftschwimmbecken mehr als verdient.

Windpocken Alarm?

Unsere Kleine hat sich nach unserer Diagnose entweder in Berlin oder kurz darauf auf dem hessischen Campingplatz wohl leider mit Windpocken angesteckt. Obwohl sie dagegen geimpft ist, gibt es keinen hundertprozentigen Impfschutz, sagt uns die Sprechstundenhilfe der Berliner Kinderärztin am Telefon. Aber die Kleine ist trotz der vielen Blässchen gut drauf. Sie darf allerdings nicht mit in den Pool, weil wir vermeiden möchten, dass sie andere Kinder oder Schwangere ansteckt.

Muscheln sammelm am Utah Beach

Am Utah Beach unterwegs

Nach der Erfrischung relaxen wir auf den Liegen am Pool. Jeder ein Eis in der Hand. Irgendwann wird es in der Sonne zu heiß und wir gehen am Strand spazieren. Er ist über und über mit großen Muscheln bedeckt. Die Sammeltasche füllt sich im Nu. Ich teste das Meerwasser. Es ist vorne angenehm warm, aber leider von vielen angeschwemmten Algenpflanzen durchsetzt. Nach ein paar Schwimmzügen sind die Algen weg und es wird kühler. Leider ist das Meer sehr trüb, weil so viel Sand darin aufgewirbelt wurde. Das ist mir immer suspekt. Ich möchte lieber sehen, was sich um mich herum bewegt. Also wieder raus ans Land.

historische Geländewagen am Utah Beach, Nordfrankreich

Während wir am Sandstrand einen Fuß vor den andern setzen und uns auf die Überreste eines deutschen Bunker sind zu bewegen, wird mir ganz anders zumute. Tut mir leid, wenn ich schon wieder so grüblerisch daher komme. Aber so bin ich nun mal. Denn genau hier, wo wir uns jetzt die Sonne auf den Kopf scheinen lassen und unsere Kinder fröhlich Muscheln auflesen, ist das Blut von tausenden Soldaten geflossen, um den Vormarsch der Nazis im Westen zu stoppen. Es klebt trotzdem kein Blut an unseren nackten Fußsohlen. Nur Muschelkalk. Die Meereswellen plätschern so unschuldig, als wäre hier nie ein Schuss gefallen. Nun stehen schräg hinter dem Bunker zwei Original Jeeps aus dem 2. Weltkrieg, die man inklusive einem Fahrer für eine historische Normandie Tour stunden- oder tageweise mieten kann. Das kostet allerdings eine Stange Geld.

Hüpfburg Campingplatz Le Cormoran, Nordfrankreich

Unser buntes Abendprogramm: Von den Ziegen bis zum französischen Elvis

Zum Abendessen verspeisen wir ein halbes Kilogramm Crevettes (Garnelen). Danach bereiten unsere Töchter zuerst den Ziegen ein grasiges Festmahl bevor sie auf den verschiedenen kostenfreien Hüpfburgen und Trampolinen hüpfen bis ihnen schwindlig wird. Wir müssen sie von den Trampolinen unter lauten Protest zerren damit auch mal die anderen Kinder dran kommen. Ansonsten würden sie wahrscheinlich bis zur Schließung des Campingplatzes noch dort hüpfen wie Flummis.

mit dem Wohnmobil durch Nordfrankreich, Utah Beach bei Sonnenuntergang

Wir laufen vom Campingplatz aus die 20 Meter bis zum Meer, dass sich aufgrund der Ebbe weit zurück gezogen hat. Wir springen von Sandbank zu Sandbank bis wir das Meer doch noch erwischen. Erst als die Sonne hinter dem Campingplatz verschwindet, gehen wir zurück.

französisches Elvis Double auf dem Campingplatz Le Cormoran, Frankreich

In der Campingplatz Bar ist ein französischer Elvis gerade dabei sich warm zu singen. Er sieht in seinem weißen und mit goldenen Strasssteinen bestickten Anzug samt goldenen Gürtel so intergalaktisch aus, dass unsere Kleine wie angewurzelt in seiner Nähe stehen bleibt und ihn einfach nur anstarrt. Nur schwer kommt sie in den Groove. Die Band in Saint-Valery-sur-Somme war anscheinend mehr ihr Ding. Wir hören Elvis Double noch lange bevor wir in den Schlaf finden.

Damit sich unsere kränkelnde Tochter von ihren Windpocken etwas erholen kann, bleiben wir noch eine weitere Nacht auf dem Campingplatz. Das salzige Meerwasser und die trockene Luft tun ihrer Haut gut.

Die Kriegsmuseen in der Umgebung besichtigen wir nicht. Wir genießen einfach das grandiose Wetter, nachdem wir ja auch einige durchwachsene Tage hatten, joggen am Strand und bauen dort mit unseren Kindern Torten mit Sandfüllung und einem sagenhaften Muscheltopping. Abends spielen wir Boule wie echte Franzosen. Endlich kommen die schweren silbernen Kugeln mal zum Einsatz, die wir bei jeder Wohnmobiltour mit dabei haben.

unterwegs im Département Manche

Adressen und weitere Informationen

Campingplatz Le Cormoran

50480 Ravenoville-Plage
www.lecormoran.com
lecormoran@wanadoo.fr
Tel: +33 (0)2 33 41 33 94

Freizeit & Museen

Normandy Jeep Tours
Tel: +33 (0)6 76 16 95 20

Utah Beach Museen du Debarquement
50480 Sainte Marie du Mont
www.utah-beach.com
musee@utah-beach.com

Öffnungszeiten
Oktober bis Mai: 10 bis 18 Uhr
Juni bis September: 9.30 bis 19 Uhr
Vom 1. bis 25. Dezember geschlossen.
Letzter Einlass ist eine Stunde vor Schließung.

Musée Mémorial d’Omaha Beach
„Les Moulins“ Avenue de la Liberation
14710 Saint-Laurent-sur-Mer
www.musee-memorial-omaha.com
musee-memorial-omaha@wanadoo.fr
Tel: +33 (0)2 31 21 97 44

Öffnungszeiten
Februar: 10 bis 17 Uhr
März: 10 bis 18 Uhr
April/Mai: 9.30 bis 18.30 Uhr
Juni: 9.30 bis 19 Uhr
Juli/ August: 9.30 bis 19.30 Uhr
September: 9.30 bis 18.30 Uhr
Oktober/November: 9.30 bis 18 Uhr

Normandy Tank Museum A10 Airfield
La Fourchette Avenue du Cotentin
50500 Catz
www.normandy-tank-museum.fr
contact@normandy-tank-museum.fr
Tel: +33 (0)2 33 44 39 45

Hangar d’Ecausseville
www.aerobase.fr
contact@aerobase.fr

Centre Historique des Parachutistes du Jour-J
(D-Day Experience + Dead Man’s Corner Museum)
2 Village de l’Amont
50500 Saint-Côme-du-Mont
www.paratrooper-museum.org
communication.carentin.101@orange.fr

Öffnungszeiten
1. Oktober bis 31. März: 10 bis 18 Uhr
1. April bis 30. September: 9.30 bis 19 Uhr

Reise- und Etappenführer für Wohnmobilreisen

„Mit dem Wohnmobil durch die Normandie“ (Womo-Reihe), Taschenbuch, 1. Juli 2013

„DuMont direkt Reiseführer Normandie“, Taschenbuch, 25. Juni 2015

„Mit dem Wohnmobil nach Nordfrankreich“ (Womo-Reihe), Taschenbuch, 3. Feburuar 2014

„Tourenführer Frankreichs Norden mit dem Wohnmobil“, Broschiert, 23. Februar 2012

ADAC Campingführer Südeuropa mit herausnehmbarer Planungskarte

ADAC Stellplatzführer Deutschland/Europa mit zwei herausnehmbaren Planungskarten

Etappenführer France Passion

Wohnmobiltour durch Nordfrankreich Teil 11: Hafenstadt Honfleur in der Normandie

der leuchtturm in honfleur, frankreich

„Get high by the beach, get high. All I wanna do is get by by the beach“. Ich kann Lana del Reys Wunsch an diesem normannischen Küstenabschnitt wirklich sehr gut nachvollziehen. Aber unsere vierköpfige Karawane auf Rädern zieht mal wieder weiter. Ach ja. Schön war’s hier, Baby. Seufz. Bis zur letzten Minute, um 12 Uhr ist Check-out, joggen wir noch am Strand und planschen im Pool mit der Großen. Aber wir müssen uns langsam auf den Rückweg Richtung Heimat machen, wenn wir zwischendurch noch Zeit fürs Sightseeing haben wollen. Und da gibt es noch vieles, was uns in Nordfrankreich interessiert. Trotzdem sind wir des ständigen Aufbrechens langsam müde geworden. Ankommen hingegen ist was anderes.

Wir machen uns abfahrbereit. Das bedeutet leider nicht nur Anschnallen, sondern dass eine ganze To do Liste abgeklappert werden muss:

Haben die Kinder etwas zu trinken für die Fahrt?
Liegt der Nuckel für die Kleine in ihrer Reichweite?
Hat die Windel der Zweijährigen einen Geruchscheck durchlaufen und besteht akuter Handlungsbedarf?
Muss die Sechsjährige noch einmal auf die Toilette (meistens ja)?
Ist die Thermoskanne mit frischem Kaffee gefüllt?
Befinden sich Energydrinks im Kühlschrank?
Sind die Kinderautositze befestigt?
Sind Tische und Stühle in der Topbox verschwunden?
Ist die Markise eingefahren?
Liegen draußen noch Spielzeuge, Handtücher oder Badehosen herum?
Hängt die Wäscheleine noch an irgendeinem Baum?
Ist der Müll entsorgt?
Muss das Chemie-WC geleert werden?
Ist alles, was im Wohnmobil bei der Fahrt durch die Gegend fliegen könnte, verstaut?
Ist das Gas abgedreht und das Stromkabel abgezogen?
Ist der Kühlschrank von 220 auf 12 Volt umgeschaltet?
Sind alle Fenster und Türen im Wohnmobil verriegelt, damit sie während der Fahrt nicht auffliegen?
Wohin fahren wir überhaupt? Welches Ziel geben wir ins Navigationsgerät ein?
Wer sind wir und wenn ja wie viele????

Obwohl wir schon ein eingespieltes Team sind, vergessen wir doch immer irgendetwas. Aber das allerwichtigste haben wir immer dabei: Reiselust und (meistens) gute Laune!

Unsere heutige Eingabe ins Navigationsgerät lautet: Honfleur. Noch so ein Ort, der sich wie ein Parfumname anhört. Laut des uns beratenden Reiseführers ist dieses normannische Fischerörtchen an der „Côte de la Manche“ ein Muss! Er ist von anderen beliebten Städten gut erreichbar: denn er liegt 200 Kilometer von Paris, 180 Kilometer vom Mont Saint-Michel (den wir leider in diesem Urlaub nicht mehr anfahren konnten), 90 Kilometer von Arromanches, 80 Kilometer von Bayeux und 78 Kilometer von Rouen entfernt. Das bedeutet sicherlich, dass wir nicht die einzigen dort sein werden.

Auf geht’s also zum südlichen Ufer der Seinemündung, wo sich der 9.000 Einwohner Ort angesiedelt hat. Nach kaum 200 Kilometern sind wir auch schon da. Es ist immer noch warm und sonnig als wir mit dem Wohnmobil am pittoresken „Vieux Port“ (der Alte Hafen) von Honfleur am frühen Nachmittag vorbei fahren. Es gibt in Honfleur nur einen Campingplatz und den steuern wir an. Er liegt am Ortsrand an einem alten Leuchtturm nach dem der Platz benannt wurde.

campingplatz le phare in honfleur, frankreich

Campingplatz du Phare

Parallel zur Küstenstraße, in der einen Richtung circa 10 Minuten Fußweg vom Strand „Plage du Butin“ und in die andere Richtung circa 5 Minuten Fußweg vom Stadtzentrum entfernt, ist der Campingplatz ideal für einen Kurztrip nach Honfleur. Er ist recht klein und grün. Für längere Aufenthalte und auch für den Preis von um die 30 Euro pro Nacht bietet der Platz aber zu wenig Komfort.

Das Gebäude, in dem die Duschen untergebracht sind (in Frankreich sind übrigens meistens Männer und Frauen gemischt), stinkt zum Himmel. In den Toiletten gibt es kein Klopapier. Der Spielplatz für Kinder kann als solcher eigentlich gar nicht bezeichnet werden. Er besteht lediglich aus einer Wippe, c’est tout. Er liegt wie eingangs erwähnt an der Straße und ist deshalb entsprechend laut.

Für unsere Zwecke ist der Campingplatz du Phare dennoch in Ordnung. Wir möchten ja am nächsten Tag wieder weiter östlich fahren um so der Heimat peut à peut näher zu kommen. Deshalb bauen wir auch keinen Tisch draußen auf.

maison satie in honfleur

Das Maison Satie / Erik Satie Haus

Vom Campingplatz laufen wir rechts am alten Leuchtturm vorbei und den Boulevard Charles V. Richtung Honfleur Stadtzentrum. Mittelalterliche Häusschen, eines hübscher und teilweise schiefer als das andere, stehen dicht an dicht. Trés charmant.

Vor 18 Jahren eröffnet, feiert das kleine verwinkelte Haus in diesem Jahr den 150. Geburtstag des Vaters der Minimal Music Erik Satie, dessen Musik (z.B. les Gymnopédies, les Gnossiennes, Morceau en formes de poire, Parade) spätestens durch seine Zusammenarbeit mit Debussy weltweit bekannt wurde. Viel weniger bekannt (zumindest uns) ist allerdings, dass er auch ein Schriftsteller und Maler war. Er arbeitete mit Künstlern wie Picasso, Braque, Cocteau sowie René Clair zusammen und beeinflusste wiederum Komponisten wie Debussy, Ravel und Stravinsky in ihrem Schaffen.

Das Haus, in dem der Künstler geboren wurde, ist kein Museum, wie man es gewohnt ist. Wer eine klassische Ausstellung erwartet hat, dürfte bei einem Besuch des skurrilen Maison Satie entsprechend enttäuscht werden.

der alte hafen in honfleur, frankreich

Von einem englischsprachigen (alternativ französischen) Audioguide begleitet, werden wir schon im ersten Raum von einer riesigen Birne hell hell angeleuchtet (Anspielung auf Saties Stück „Drei Stücken in Birnenform“) in ein anderes Universum, das Universum Satie, entführt. Musikalische Untermalungen und Zitate des Künstlers aus den Kopfhörern mischen sich mit Videoinstallationen und beweglichen Ausstellungsstücken. Ganz oben überrascht uns in einem ausgebauten und vollständig weiß gestrichenen Dachstuhl ein automatisch spielender Konzertflügel.

Wer sich einmal vollkommen vom Reisealltag abkoppeln und sich auf Abstraktes einlassen möchte, kommt in diesem Haus auf seine Kosten. Aufgrund der Begleitung unserer Kinder konnten wir uns auf den Audioguide natürlich schwer konzentrieren und hatten leider zu wenig von der aufwendig gestalteten Ausstellung der etwas anderen Art.

der alte hafen in honfleur, frankreich

Vieux Port, der alte Hafen

Nachdem wir uns die hübschen Antiquitätenläden auf dem Boulevard Charles V. angesehen haben, entdecken wir eine Apotheke in der wir Salbe gegen den Juckreiz und ein Puder zum Austrocknen der mutmaßlichen Windpocken unserer Zweijährigen kaufen.

Anschließend laufen wir am Sitz des früheren königlichen Statthalters, der Lieutenance, vorbei und kommen wir zum alten Hafen. Segelboote schaukeln in einer sanften Brise. Auf der anderen Seite, Jetée de l’Est, müsste das sein, dreht sich ein Riesenrad. Auch hier ist also eine Art Rummel. Aber glücklicherweise besteht dieser hier aus einem stilvollen historisch anmutenden Karussell. Das ist ein Muss für unsere Mädchen. Nach ein paar Umdrehungen kommt wieder der geräuschvolle Abschied, der nur von einer Eiskugel für unsere Kinder abgemildert werden kann. So tropfend und kleckernd können wir nicht in das Musée de la Marine, welches in der Kirche St-Étienne untergebracht ist. Also schauen wir statt dem Marinemuseum lieber dem Treiben von einer Brücke aus zu.

mit dem wohnmobil nach honfleur, frankreich

Sind die Häuser hier echt oder ist Disney World von Paris aus nach Honfleur expandiert, fragen wir uns. Rund um den im 17. Jahrhundert erbauten Hafen drängeln sich vor allem an der Rue Santa Catherine sehr schmale, teilweise mit bis zu acht Stockwerken recht hohe und mit Schiefer verkleidete, Fischerhäuser. Sie sehen in ihrer antiken Gesamtheit in Kombination mit den vielen Restaurants im Erdgeschoss fast schon künstlich aus. Und wirklich, an einer der dunklen Häuserfassaden wurden rot gerahmte Fenster aufgemalt. Ich frage mich, wie es in diesem in Wirklichkeit fensterlosen Haus von Innen wohl aussehen mag, falls was man überhaupt was sehen kann.

mit dem wohnmobil nach honfleur, antiquitätengeschäft, frankreich
Wir spazieren die Rue de Dauphin und ihren köstlich aussehenden Delikatessengeschäften entlang (in denen wir uns eindecken), bis wir zu einem sehr hübschen Papierwarenladen gelangen, wo ich am liebsten alles kaufen würde und dann wegen der Qual der Wahl ohne etwas zu erstehen das Geschäft verlasse.

Qu’est-ce que c’est, was ist das? Schräg gegenüber auf dem Platz „Place Berthelot“ steht etwas, was so ähnlich aussieht die alte Markthalle in Étretat, von der ich schon berichtete. Das müssen wir uns näher angucken. Es ist zum Glück keine Tourifalle-Markthalle. Wir betreten nichts weniger als die zweischiffige Kirche Ste-Catherine. Ein von Schiffszimmerleuten (das Thema „Schiff“ war also gar nicht so weit entfernt) 1468 vollkommen aus Holz geschaffenen Bauwerk mit wunderbaren geschnitzten Votivschiffen. Innen ist sie angenehm warm und es herrscht auch dank der Beleuchtung eine so friedliche und angenehme Atmosphäre, wie ich sie in den einschüchternd hohen gotischen Kirchen Frankreichs fast nie wahrnehmen kann. Hier würden wir gerne mal zu Weihnachten einem Krippenspiel beiwohnen.

karussel am hafen in honfleur, frankreich

Adressen und weitere Informationen

Campingplatz

Campingplatz Le Phare
Boulevard Charles V
14600 Honfleur
www.normandie-sur-mer.fr
contact@oasis-camping.fr
Tel: +33 (0)2 31 89 10 26
Geöffnet von April bis September

Freizeit

Maison Satie
67, Boulevard Charles V.
14600 Honfleur
www.musees-honfleur.fr
musee.eugeneboudin@wanadoo.fr

Öffnungszeiten
Täglich bis auf Dienstag geöffnet
1. Mai bis 30. September: 10 bis 19 Uhr
1. Oktober bis 30. April: 11 bis 18 Uhr
Ab Januar für sechs Wochen geschlossen

Eintrittspreise: 12 Euro inkl. Audioguide, begleitende Kinder unter 10 Jahren zahlen keinen Eintritt

Musée de la Marine
Quai Saint-Etienne
14600 Honfleur
www.musees-honfleur.fr/musee-de-la-marine

Öffnungszeiten
Mitte Februar bis März, Oktober bis Mitte November: Dienstag bis Sonntag 14.30 bis 17.30, Samstag und Sonntag zusätzlich 10 bis 12 Uhr, April bis September: Dienstag bis Sonntag 10 bis 12 Uhr und 14 bis 18.30 Uhr

Eintrittspreise: 3,50 Euro

Kirche Ste-Catherine
Place Berthelot

Öffnungszeiten
Täglich 10 bis 12 Uhr, 14 bis 18 Uhr

Die Besichtigung der Kirche ist nicht kostenpflichtig, aber der Turm ist mit 2 Euro eintrittspflichtig und hat gesonderte Öffnungszeiten

 

Reise- und Etappenführer für Wohnmobilreisen

„Mit dem Wohnmobil durch die Normandie“ (Womo-Reihe), Taschenbuch, 1. Juli 2013

„DuMont direkt Reiseführer Normandie“, Taschenbuch, 25. Juni 2015

„Mit dem Wohnmobil nach Nordfrankreich“ (Womo-Reihe), Taschenbuch, 3. Feburuar 2014

„Tourenführer Frankreichs Norden mit dem Wohnmobil“, Broschiert, 23. Februar 2012

ADAC Campingführer Südeuropa mit herausnehmbarer Planungskarte

ADAC Stellplatzführer Deutschland/Europa mit zwei herausnehmbaren Planungskarten

Etappenführer France Passion

Ein tierisches Abendbrot für Kinder 

„Ich mag keinen Käse. Ich will nur Butter aufs Brot.“ Diesen Satz hören wir Eltern von unserer 6 1/2 jährigen Tochter leider fast täglich, wenn es ums Abendbrot geht. So langsam muss sich was ändern. Aber wie, wenn sachliche Argumente, Bestechungsversuche und andere verzweifelte (un)pädagische Versuche an ihr abprallen wie eine Paprika an der Wand?

Da Weihnachten noch nicht lange vorbei ist, fielen mir heute abend die Keksausstecher ein. Warum nicht einfache Käsescheiben, Gurke und Paprika mit lustigen Keksförmchen ausstechen? 

Über die letzten Jahre haben sich zu den klassischen weihnachtlichen Herzen, Sternen und osterlichen Hasen auch so spannende Wesen wie Dinosaurier und Fische gesellt. 

Also kurzerabendbrothand die Weihnachtsdose ausgekramt und die Kinder zum Mitarbeiten gerufen. Sie waren von ihren Ergebnissen so angetan, dass sie die meisten Käsesaurier und Gurkenherzen ratzfatz wegmümmelten. Ansonsten überleben nur Gummibärchen so kurz in unserem Haushalt. 

Nur unter hungrigen Protest konnte ich rasch ein paar Schnappschüsse von ihrem Werken machen bevor die Unikate für immer verschwanden. 

Käse hat übrigens einen höheren Kalziumgehalt als Milch. Parmesan, Edamer, Gouda, Emmentaler und Mozzarella liegen auf den ersten fünf Plätzen.

P.S.: auch die Negative, also der Rand der nach dem Ausstechen übrig bleibt, sieht hübsch aus und ist zum Wegwerfen viel zu schade (siehe Gurken)

Wohnmobiltour durch Nordfrankreich Teil 12: Unter bunten Lampenschirmen in Amiens unterwegs

mit dem Wohnmobill in der Normandie, Honfleur Strand Plage du Butin
Normandie, Honfleur, Strand Plage du Butin

Gähn, raschel. Bonjour, Normandie! Ich bin die Erste der Familie, die aufwacht und ziehe mich so leise, wie es in einem Wohnmobil möglich ist, um. Das Wetter in der Küstenflussstadt Honfleur ist genauso blendend wie am Vortag und ich nutze die angenehmen morgendlichen Temperaturen, um an dem vom Campingplatz Le Phare nahe gelegenen Strand „Plage du Butin“ zu joggen. Die Ebbe hat den Strand bis auf einige ausgedehnte flache Salzwasserlachen plank gezogen und ich hüpfe umher um keine nassen Laufschuhe zu bekommen. Der Ausblick vom Plage du Butin geht auf die Ölraffinerien von Le Havre oder das, was ich dafür halte. Die weißen Raffenerietürme zeichnen sich am diesigen Horizont ab. Das ist kein gewöhnlicher Anblick. Aber sooo schlimm ist es auch wieder nicht. Eben ungewöhnlich für mich. Der Strand „Plage de Vasouy“ am westlichen Ortsrand von Honfleur, unterhalb der Côte de Grâce, ist sicherlich schöner. Aber weiter weg von unserem Campingplatz Le Phare.

Mit dem Wohnmobil über die Pont de Normandie, in Frankreich bei Le Havre
Mit dem Wohnmobil über die Seine, Pont de Normandie, bei Le Havre

Nach einer Dusche im müffelnden Campingplatz-Badehaus frühstücken wir schnell im Wohnmobil, arbeiten unsere To-Do-Abfahrtsliste ab und tuckern weiter nordöstlich in Richtung Le Havre. Wir passieren zum zweiten Mal auf unserer Nordfrankreich-Tour die spektakuläre 856 Meter lange Schrägseilbrücke über den Seine-Fluss. Allerdings nun gehts es mit uns in die östliche Richtung. Am Ende der Brücke begrüßen uns stumm einige bewaffnete und sonnenbebrillte Soldaten. Frankreich scheint wachsam zu sein. Wir ahnen weshalb. Von unserem Urlaub haben uns die Geschehnisse in Frankreich der ersten Jahreshälfte nicht abgebracht. Im Gegenteil!

Die 170.000 Havrais zählende Stadt Le Havre lassen wir links an der Küste liegen. Dies bedeutet keineswegs, dass die Hafenstadt uns nichts zu bieten hätte, immerhin genießt sie Weltkulturerbestatus. Mich würde schon sehr interessieren, wie die Stadt nach den schweren Zerstörungen des 2. Weltkriegs durch ein Team von 60 Architekten zwischen 1945 und 1954 wieder aufgebaut wurde. Aber es hilft nichts. Wir müssen schlicht und ergreifend Strecke machen, Baby. Doch wir haben eine tolle Zwischenetappe ausgewählt. Unsere nächste Station heißt: Amiens!

Amiens, die Hauptstadt der Picardie

Unsere Wetter App zeigt sportliche 34 Grad Celsius für Amiens an. Wir sind entsprechend verschwitzt und froh, als wir endlich einen Parkplatz (mit Parkuhr) für unser Wohnmobil in der Nähe des „Musicaa Auditorium Dutilleux“ finden und springen hinaus auf den Gehsteig. Obwohl heute eher Badewetter ist, gehen wir über das glühend heiße Pflaster von Amiens. Nicht umsonst wird die – Asterix und Obelix Fans bitte aufgepasst – ehemals gallisch-römische Siedlung als eine der ältesten und kunsthistorisch wertvollsten Städte Frankreichs bezeichnet.

Place de Gambetta in Amiens
Place de Gambetta in Amiens, Sommer 2016

Haben wir eine an der Lampe?

Nach einer kleinen Shoppingattacke im klimatisierten Concept Store mit dem unfranzösisch klingenden Namen „Wanderlust“ sowie in einem wiederum sehr französischen Kinderbekleidungsgeschäft, das ich ansonsten nur durch Onlinebestellungen erreiche, laufen wir mit Tüten bepackt am schmucken Hôtel de Ville, vorbei zum Place de Gambetta. Haben wir jetzt Halluzinationen vor lauter Hitze bekommen? Der Platz ist geschmückt mit dutzenden überdimensionierten bunt gemusterten Lampenschirmen, die an mehreren parallel verlaufenden Schnüren von einer Hausseite zur anderen baumeln. Das lockert den ansonsten sehr geradlinigen Platz ungemein auf. Ein wirklich einladender öffentlicher Raum, der ansonsten von den üblichen verdächtigen Geschäften umgeben ist. Und das Konzept scheint zu funktionieren. In dieser Open-Air-Wohnzimmerathmosphäre braten jüngere wie ältere Anwohner in bunten Sonnenliegen und Kinder spielen im Springbrunnen. Das ist verboten, aber bei dem Wetter meckert kein Gendarm. Das ist ein Bild von Amiens, das ich lange und gut in Erinnerung behalten werde, spüre ich.

Kathedrale Notre-Dame in Amiens
Kathedrale Notre-Dame in Amiens

Abkühlung in Kathedrale Notre-Dame

Nach so viel Lockerheit muss das Kontrastprogramm her. Nebenan werden wir von der Tourismusinfo mit einem Stadtplan versorgt, so dass wir den Weg zu einer der größten Kathedralen Frankreichs, die, welch Überraschung, wieder mal „Notre-Dame“ heißt, gut finden. Die 145 Meter lange und 70 Meter breite Inkarnation feinster gotischer Architektur und Bildhauerkunst ist auch ohne Stadtplan nicht zu übersehen, als wir kurze Zeit später von der Rue Dusevel auf dem „Place Notre-Dame“ stehen und unsere Köpfe staunend in den Nacken legen. Jetzt eine Abkühlung gefällig? Ouiiiiii! Wir betreten das höchste Kirchenschiff Frankreichs und erholen uns von der spätsommerlichen Hitze. Hier ist keine Klimaanlage nötig. Dieses Mitglied des elitären UNESCO-Weltkulturerbe-Clubs ist luftig genug gebaut.

Die Kinder sind bei ihrem Versuch auf dem heiligen kühlen schwarz-weißen Steinfußboden ein Wettrennen zu veranstalten kaum zu bändigen. Die bunten Glasfenster und Rosetten zaubern kitschige Lichtspiele auf die Kirchenwände. Unsere Tochter darf sogar eine Kerze für eine Heilige entzünden. Ich bin von der Architektur der Kathedrale schon sehr beeindruckt. Um die anderen Besucher in ihrer religiösen oder architektonischen Andacht jedoch nicht zu stören, verlassen wir den Sakralbau mit den Kindern bald wieder.

Saint-Leu in Amiens, Klein-Venedig
Saint-Leu in Amiens, Klein-Venedig

Klein-Venedig mitten in Amiens

Die Hitze nimmt uns wieder in ihre klebrigen Arme. Die Kinder möchten ein Eis haben. Wir auch. Ganz in der Nähe der Kathedrale Notre-Dame bewegen wir uns durch das so genannte Klein Venedig des Nordens, Saint-Leu genannt. Und wirklich, der Vergleich der Tourismuswerber kommt mit ein wenig Phantasie schon hin. Kleine Kanäle durchziehen das alte Amiens. Doch viele der eigentlich hübschen Häuser sind verlassen und herunter gekommenen. Aus einem wächst ein Bäumchen aus der Fassade. Schade, dass nicht mehr daraus gemacht wird. Oder ist das vielleicht besser so? Der Tourismus ist hier auf jeden Fall nicht sonderlich auffällig, wie in so manchem Küstenort der Normandie. In anderen Städten Europas wären die Häuser sicherlich schon längst bis zum Get no saniert und dann zu horrenden Preisen an Zugezogene verhökert. Auch in Amiens sehen wir einige „Zu verkaufen“ Schilder in den Fenstern. Es wird also nicht mehr lange dauern…

Zwar halten wir jeder mittlerweile ein Wassereis in den Händen, aber es ist und bleibt für eine Stadtbesichtigung mit Kindern zu heiß. Wir stellen also das Jules Verne Haus und das wunderbare Museum der Picardie für heute hinten an und begeben uns auf den Rückweg. Wir müssen schließlich noch einen Stellplatz für unser Wohnmobil finden. Morgen ist ja auch noch ein Tag für Amiens und seine Sehenswürdigkeiten, n’est-ce-pas?

Auf dem Weg zum Wohnmobil decken wir uns in der Rue Dumeril im Supermarkt Carrefour mit Zutaten fürs unser Abendessen ein und stoßen in der Nähe unseres Parkplatzes wir auf eine Art Baumarkt, wo wir vergebens nach einem möglichst klein zusammen legbaren Campingstuhl suchen. Seit unserem Aufenthalt auf dem Campingplatz Sarl Camping du Casino bei Oye-Plage (Wohnmobil-Tour durch Nordkrankreich Teil 5) fehlt uns bereits eine Sitzgelegenheit. Statt mit einem Stuhl kommen wir jedoch mit einem Tablett (genau das, was unsere Tochter in Berlin vor einiger Zeit versehentlich zertreten hat) und bunten französischen Laguiole Buttermessern heraus.

Kathedrale Notre-Dame in Amiens

Unser Stellplatz auf dem Campingplatz „Parc des Cygnes“

In der Nähe des Friedhofs La Madeleine, auf dem der Schriftsteller Jules Vernes begraben ist, finden wir den Campingplatz „Parc des Cygnes“. Er ist fast leer, obwohl er noch neu und modern aussieht und viel Grün bietet. Schattige Plätze sind leider trotzdem rar. Am Ende unserer Suche finden wir eine halbwegs schattige Wiese, die wir fast für uns alleine haben. Wir packen Tisch und Stühle sowie den Gasgrill aus, weil uns hier nach ankommen ist.

Ich gehe mit unserer Jüngsten erst einmal den Mix aus Sonnencreme und Schweiss abduschen. Ihre Windpocken brauchen dringend etwas Pflege. Anschließend wird sie gegen den Juckreiz weiß gepudert und revanchiert sich auch gleich bei uns. Wir sehen aus, als wären wir in eine Bäckerei eingebrochen.

Nachdem die Kinder im Wohnmobil schlummern, bleiben wir noch lange draußen in der lauen Sommernacht sitzen und genießen den entspannten Tagesausgang im Grünen.

Wohnmobil an der Zufahrt zur Seine-Brückee
Man beachte die Skiausrüstung auf dem Dach mitten im Sommer

Adressen und weitere Informationen

Campingplatz Parc des Cygnes
111 Avenue des Cygnes
80080 Amiens
www.parcdescygnes.com

Place Gambetta
80000 Amiens
Frankreich
www.google.com/maps/place/Place+Gambetta,+80000+Amiens,+Frankreich

Kathedrale Notre-Dame

www.amiens-tourisme.com

Wanderlust Concept Store

www.wanderlust-conceptstore.com

Friedhof La Madeleine
480 rue St-Maurice
80000 Amiens

Musée De Picardie
48 Rue de la République
80000 Amiens
www.amiens.fr

Maison de Jules Verne
2 Rue Charles Dubois, 80000 Amiens
www.amiens.fr/maisonjulesverne

Reise- und Etappenführer für Wohnmobilreisen

„Mit dem Wohnmobil durch die Normandie“ (Womo-Reihe), Taschenbuch, 1. Juli 2013

„DuMont direkt Reiseführer Normandie“, Taschenbuch, 25. Juni 2015

„Mit dem Wohnmobil nach Nordfrankreich“ (Womo-Reihe), Taschenbuch, 3. Feburuar 2014

„Tourenführer Frankreichs Norden mit dem Wohnmobil“, Broschiert, 23. Februar 2012

ADAC Campingführer Südeuropa mit herausnehmbarer Planungskarte

ADAC Stellplatzführer Deutschland/Europa mit zwei herausnehmbaren Planungskarten

Etappenführer France Passion