Eine sehr beliebte Rubrik des Stadtwaldkind.de-Blogs stellt das Thema „Waldkita“ dar. Auch immer mehr Eltern und Medien interessieren sich für diese besondere Form von Kindertagesstätten. Da uns darüber hinaus fortwährend Freunde und Bekannte zur Waldkita befragen, die unsere Tochter besucht, habe ich eine Ikone unter den Waldkitaleitern, den Erziehungswissenschaftler Alfred Cybulska, vom Waldkindergarten Waldmäuse hier für Euch interviewt.
Art: Waldkindergarten mit In-Haus-Betreuung
Geografische Lage: Konradshöhe, Berlin-Tegel
Gründung: 1998 vom Erziehungswissenschaftler Alfred Cybulska
Träger: Verein Waldmäuse e.V.
Anzahl der Kinder: 40
Alter der Kinder: 1 — 6 Jahre
Betreuung: 6 ErzieherInnen, Praktikanten und FSJ/FÖJ
Kontakt:
Waldmäuse e.V., Rabenstraße 41, 13505 Berlin
Tel. 030 431 22 25, www.waldkita.de
Lieber Alfred, der Waldkindergarten Waldmäuse e.V. in Berlin-Reinickendorf (Konradshöhe) hat mittlerweile seinen 15. Geburtstag gefeiert, den Du mit Deiner Kollegin Rita damals gegründet hast. Was hat Dich im Jahr 1999 zu diesem Schritt bewegt und hattest Du Vorbilder für die Waldkita Waldmäuse?
Bewegt hat mich einmal, dass meine Frau und ich gemeinsam mit anderen Eltern damals einen Kindergarten für unser 3. Kind gesucht haben. Dabei hatte ich zunächst gar nicht vor, einen Kindergarten zu gründen. Meine Frau hatte da zwar gewisse Erfahrungen, als sie noch in Bochum wohnte, aber unser 2. Kind ist dann ganz normal zur Tagesmutter und später in die Kita in der Luisenstraße gegangen. Aber eine andere Mutter in unserem Elternkreis war sehr enthusiastisch damals und wollte unbedingt einen Kindergarten gründen, allerdings einen Montessori-Kindergarten. Ich hab dann irgendwann den Satz gesagt: Also wenn ich einen Kindergarten gründe, dann nur einen Waldkindergarten. Zu der Zeit wusste allerdings niemand sonst, was das ist. Ich musste das erklären und interessanterweise waren die anderen Eltern plötzlich ganz angetan von der Idee und dem Konzept. Weil ich aber der einzige war, der einigermaßen wusste, wie das funktioniert, auch weil ich mit anderen Erziehern 2 Jahre zuvor mal einen besucht hatte in Nyköbing, in Dänemark, blieb die inhaltliche Arbeit eher bei mir hängen.
Während dieser vorbereitenden Arbeiten im Jahre 1998 eröffnete dann die Frau des damaligen Försters in Spandau, Gundula Stamm, den ersten Waldkindergarten in Berlin. Wir nahmen natürlich Kontakt auf und ich sah mit Interesse, was sie dort entwickelt hatte. Heute arbeitet Frau Stamm in der Waldschule Spandau. Wir haben dann im Sommer 1999 als nicht geförderter Waldkindergarten eröffnet mit 10 Kindern und kleinen Budget. Aber weil die Kitaaufsicht sich da bereits mit dieser neuen Art von Kindergärten beschäftigte, dauerte es für uns nicht sehr lange, bis wir die Förderung bekamen. Da erst haben wir entschieden, als integrierter Waldkindergarten weiterzumachen und 7 Stunden anzubieten mit Mittagessen usw. Mir war da bereits klar, dass dies Modell die größeren Chancen hat, weil es die Bedürfnisse der Familien von heute stärker berücksichtigt und weniger ideologisch ist.
Welche Stärken hat ein Waldkindergarten?
Es ist der Kindergarten, der sich mit am meisten Mühe gibt, die gesunde Entwicklung der Kinder zu unterstützen. Das tun natürlich auch andere Konzepte wie z.B. Kneipp-Kindergärten. Ich denke heute, entscheidend ist, dass solche gesundheitsfördernde Momente Teil des Konzepts sind. Sonst ist es nicht möglich, sowohl Eltern wie Mitarbeiter auf bestimmte Dinge, die gut tun aber auch anstrengend sind, zu verpflichten. Wir sind jeden Tag draußen, bei jedem Wetter, wir unterstützen die motorische Entwicklung der Kinder und ihr Verhältnis zur Natur.
Für welche Kinder ist ein Waldkindergarten besonders geeignet?
So ein Kindergarten, wie wir es sind, ist für alle geeignet. Man muss nicht besonders abgehärtet sein, braucht keine besondere Kleidung oder viel Geld. Man muss allerdings einverstanden sein mit unserer konzeptionellen Arbeit. Wenn die Eltern zu Hause unsere Arbeit anzweifeln oder schlecht reden, geht das über kurz oder lang nicht gut.
Können auch behinderte Kinder einen Waldkindergarten besuchen und wie geht Eure Waldkita mit damit um?
Das ist ein Thema, das offenbar bei uns noch etwas unterentwickelt ist. Das liegt vielleicht daran, dass die meisten Waldkindergärten private Träger haben. Aber es ändert sich, was natürlich an der Inklusionsdebatte liegt. Es verbietet sich, Kindern mit Handicap den Besuch eines Waldkindergartens abzusprechen.
Haben die Kinder Lieblingsplätze im Wald und wenn ja, was macht solche Plätze aus?
Ja. Lieblingsplätze zeichnen sich dadurch aus, dass sie interessante Spielangebote für die Altersgruppe machen. Ideal sind Kletterangebote, gleich danach kommen Schrägen, sprich Abhänge oder Berge. Das reizt die motorische Entwicklung bzw. die Entwicklung des Gleichgewichtsorgans. Jean Ayres hat vor 30 Jahren bereits ein wichtiges Buch geschrieben: „Bausteine der kindlichen Entwicklung“, in dem sie sie darlegt, welche wichtige Bedeutung dem Gleichgewichtssinn zukommt, dass er ganz zentral ist für die Entwicklung der anderen Sinnesbereiche. Wir können daher beobachten, dass Kinder immer gerne auf Schrägen gehen. Das reizt das Gleichgewichtsorgan. Auch in unsrem Garten ist die Rampe immer schon wichtig gewesen.
Härtet eine Waldkita die Kinder gesundheitlich ab bzw. sind Waldkitakinder häufiger erkältet?
Ich beobachte, dass unsere Kinder robust sind und weniger anfällig. Infekte verlaufen kürzer und werden im Laufe der Jahre immer weniger.
Ich selbst durfte bei einem Waldgang mit der Waldkitagruppe unserer Tochter beobachten, wie sich die Kinder draußen verhalten und spielen.
Welchen Unterschied kannst Du, als Pädagoge, zwischen dem Spielen drinnen und draußen im Wald erkennen?
Die Kinder spielen ja auch gerne drinnen, aber auf die Dauer und vor allem in solch großen Gruppen, ist das sehr anstrengend. Für alle Beteiligten. Ich nenne das Indoor-Stress. Der macht uns mehr zu schaffen, als wir wahrhaben wollen. Daher vor allem spielen Kinder draußen ruhiger, konzentrierter, aber zugleich entspannter. Draußen im Wald kommt aber noch etwas Entscheidendes hinzu: Das Material im Wald. Unsere Kinder lernen, die Umgebung und ihre Angebote für das Spiel zu nutzen. Das ist natürlich eine große Kompetenz, die sie da entwickeln. Das macht sie in hohem Maße kreativ. Den Satz: Ich weiß nicht, was ich machen soll, den hab ich schon ewig nicht mehr gehört.
Ihr habt im Wald manchmal auch eine kleine Werkzeugtasche mit Nägeln, Hammer etc. dabei, wie ich gesehen habe. Morgens oder am späten Nachmittag kommen dafür drinnen Schere und Stift auf den Basteltisch. Welche Materialien bevorzugen die Kinder?
Ach, die finden alles interessant. Vor allem aber echtes Werkzeug und echte Arbeit. Dann auch Seile, Tüten zum Sammeln, Fundstücke…
Wie bereitet Ihr die Kinder auf die Grundschule vor und haben die Waldkitakinder Nachteile in der Schule, weil sie sich vorher nicht so lange in geschlossenen Räumen aufgehalten haben?
Wir haben ja im letzten Kitajahr eine integrierte Vorschulphase von 2 mal 1,5 Stunden pro Woche. Das achten wir sehr auf Arbeitshaltung, Disziplin und Struktur. Wir bekommen seit Jahren die Rückmeldung, dass unsere Kinder als sehr gut vorbereitet erlebt werden. In wenigen Fällen hatten Kinder tatsächlich Probleme nach Schuleintritt und ihnen fehlte der Wald. Das tut mir immer leid, es sind dann die Eltern, die das auffangen müssen, wenn die Schule es nicht tut. In dem einen Fall, an den ich denke, es war ein Junge, der eine sehr große Affinität zum Wald und überhaupt zur Natur hatte, hatten die Eltern damit gerechnet und der Vater hatte sich einige Monate Zeit genommen, um noch oft nach der Schule mit seinem Sohn in den Wald gehen zu können. Das hat mich sehr berührt.
Welche spezifischen Voraussetzungen bringen die PädagogInnen einer Waldkita mit?
Sie müssen selber eine Affinität zum Wald oder zur Natur haben. Das hängt i.d.R. damit zusammen, wie man selber aufgewachsen ist. Auch bei mir ist das so.
Wie viel kostet ein Waldkindergartenplatz und wie lange sind die Betreuungszeiten?
Der kostet im Prinzip nicht mehr als jeder andere Platz, weil wir genauso gefördert sind wie jede andere Kita.
Ich habe selbst erlebt, wie schwer es ist, für sein Kind einen Platz in einer Waldkita zu bekommen. Kannst Du dir vorstellen, weshalb es nicht zu noch mehr Gründungen in Deutschland kommt?
Es heißt, dass wir heute weit über 1000 Natur- und Waldkindergärten in Deutschland haben, die alle in den letzen 20 Jahren entstanden sind. Das ist doch enorm. Ich denke, dass es wichtig wäre, dass auch Regelkindergärten Elemente der Waldpädagogik stärker übernehmen.
Anhand der ausländischen Universitäts- und Medienanfragen, die sogar aus Taiwan kommen, lässt sich ablesen, wie groß das Interesse an Waldkitas geworden ist. Unterstützt du als Leiter einer Waldkita andere Waldkitas in ihrer Gründungsphase?
Ja, das mache ich natürlich gerne, immer wieder. Intensiven Kontakt hatten Kollegen aus Holland zu uns, die mir z.B. neulich ein Buch geschickt haben, in dem auch ein Bild von mir und unseren Kindern ist, verbunden mit einem herzlichen Dankeschön für die Inspiration und den kollegialen Austausch. Der Bundesverband der Natur- und Waldkindergärten in Deutschland macht hier sehr wertvolle Arbeit. Und es gab auf dem letzten Kongress wieder den Aufruf, einen Landesverband für Berlin und Brandenburg zu gründen, damit wir uns gegenseitig noch besser helfen können.
Also, wenn du Lust und Zeit hast, kannst du gleich damit anfangen.
Wer sich noch mehr für die Historie des Waldkindergartens Waldmäuse interessiert, kann hier nachlesen: www.waldkita.de
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