Kürzlich hat mich ein Buch dazu veranlasst über die Rolle von erstgeborenen Geschwistern intensiver nachzudenken. Meine Freundin, die mir dieses Buch schenkte, und ich sind selbst große Schwestern und tauschen uns schon seit 30 Jahren über unser Freud und Leid mit unseren jüngeren Geschwistern aus. Meine Freundin hat selbst mehrere Brüder und Schwestern und ich einen vier Jahre jüngeren Bruder. Statt unsere Geschwister spielen nun unsere Töchter eine größere Rolle in unseren Gesprächen. Dennoch haben uns beide unsere Rollen als Erstgeborene sicherlich unterschiedlich, aber nicht minder geprägt.
Da ich denke, dass das Thema Geschwisterbeziehung auch viele andere Eltern beschäftigt und sich unsere Probleme und Sorgen mit denen von anderen Familien ähneln, möchte ich Euch heute davon berichten, wie es mir selbst als große Schwester und unserer Erstgeborenen sowie meinem Mann und mir als Eltern nach der Geburt der Zweitgeborenen erging und wie sich die Lage jetzt, eineinhalb Jahre später, darstellt.
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Was ist das besondere an der Rolle der Erstgeborenen, welche Bedeutungen haben das Geschlecht und der Altersabstand zwischen Geschwistern?
Da ich selbst nun mit meinem Mann zwei Töchter im Alter von fünfeinhalb und eineinhalb Jahren habe, ist das Thema der Geschwisterbeziehung für uns als Eltern in Bezug auf unsere beiden Kinder wichtig. In dem Buch „Erstgeborene“, das ich von meiner besagten Freundin geschenkt bekam, bschreibt die Autorin Jirina Prekop die Situation der erstgeborenen Geschwister und ihre besondere Rolle innerhalb der Familie sowie ihre Beziehungen zu den Eltern.
Die Lektüre des Buchs hat mich nachhaltig beeindruckt und beschäftigt. Während und seitdem ich es gelesen habe, denke ich viel über die Position, das Empfinden und Verhalten unserer Erstgeborenen nach. Und ich frage mich, ob ich meine größere Tochter gerecht behandle und sie manchmal sogar überfordere.
Ich bin der Auffassung, dass Eltern ihre Kinder nicht gleich behandeln, auch dann nicht, wenn sie das gleiche Geschlecht haben. Es spielt mehr da hinein, als uns klar ist und wir es wollen. Vieles läuft unterbewusst ab. Das ist menschlich, aber dennoch nicht minder heikel. Es ist wichtig, wenn man sich mal ganz ehrlich fragt, ob man nicht doch Unterschiede in der Erziehung der eigenen Kinder macht und was davon mehr oder weniger zuträglich für das Wohl der Kinder ist.
Seitdem ich das Buch ausgelesen habe, bin ich über meine Rolle als ältere Schwester in meiner Kindheit und mein immer noch währendes fürsorgliches Verhalten meinem Bruder gegenüber (was ihn vielleicht auch nervt) ins Grübeln gekommen. Warum sind mein Bruder und ich so unterschiedlich? Weshalb habe ich einen ganz anderen Lebensweg eingeschlagen als er? Wie kommt es, dass unser heutiges Verhältnis viel besser ist als früher? Aber weche Rollen spielen wir weiterhin?
Sicherlich ist eine Bruder-Schwester Beziehung tendeziell weniger problematisch als gleichgeschlechtliche Geschwisterbeziehung, da es weniger Konkurrenz untereinander gibt, das meint auch Prekop. Dafür ist die Beziehung zwischen Bruder und Schwester nicht so eng wie zwischen zwei Jungs oder zwei Mädchen.
Im Gegensatz zu Einzelkindern müssen Bruder und Schwester das kostbarste Gut, die Liebe und Aufmerksamkeit ihrer Eltern teilen. Das prägt. Einzelkinder lernen nur außerhalb ihres Elternhauses, was es heißt zu teilen und das erst etwas später. Wenn sie wieder daheim sind, gehört wieder alles ihnen allein. Ich sehe hier Geschwisterkinder klar im Vorteil gegenüber Einzelkindern. Für meinen Mann (der ürbigens ein jüngerer Bruder ist) und mich war immer klar, dass wir zwei Kinder haben möchten.
Ich war immer froh einen Bruder zu haben und das besonders jetzt, wo wir beide selbst eine Familie haben. Zwar hatten wir immer sehr unterschiedliche Interessen, aber wenn es hart auf hart ging, haben wir zusammen gehalten. Ohne meinen Bruder hätte ich mich oft im Urlaub gelangweilt und heute hätte ich niemanden mit dem ich mich so gut über die Eltern beölen könnte.
Ich freue mich für sein Lebensglück und er sich für das meine. Neid ist kein Thema, was mich betrifft. War es zum Glück noch nie oder ich kann es gut kontrollieren, wer weiß. Vielleicht haben unsere Eltern bei meinem Bruder und mir in dieser Hinsicht etwas grundsätzlich richtig gemacht? Aber vielleicht sieht mein Bruderherz das ja ganz anders. Ich werde das herausfinden.
Natürlich flog auch mal das ein oder andere Küchenutensil durch die Gegend oder es ging mal eine Tür zu Bruch. Und heute nervt mich auch noch so manches Verhalten von ihm. Bestimmt findet er auch so mache meiner Eigenheiten blöd. Aber bitte mal ehrlich, bei wo kommen heftige Konflikte zwischen Geschwistern nicht vor? Heute lachen wir darüber und erzählen die Geschichte gerne wieder und immer wieder. Damals war es uns aber bitter ernst. Dennoch: Einen Bruder bzw. überhaupt ein Geschwister zu haben, ist eines der größten Geschenke überhaupt.
Darüber hinaus war der Altersabstand zwischen meinem Bruder und mir sowie zwischen meinem Mann und seiner Schwester nahezu der gleiche wie zwischen unseren eigenen Kindern. Nämlich vier bis fünf Jahre. Das war von meinem Mann und mir, was unsere Kinder betrifft, gewollt. Es war uns wichtig, dass unsere Tochter ein gewisses Maß an Selbständigkeit besitzt, wenn ein hilfloses Baby zu uns stößt. Aber wollte unsere große Tochter überhaupt schon so groß sein? Inwiefern soll das für sie von Vorteil sein? Vielleicht war sie zur Geburt ihrer Schwester noch gar nicht bereit dafür, obwohl damals vier Jahre alt? Ich meine, dass sie kognitiv reif dafür war, aber es birgt auch Risiken, auf die ich später noch zu sprechen komme.
Wie war die Situation direkt nach der Geburt unserer Zweitgeborenen?
Als unsere zweite Tochter zur Welt kam, war unsere erstgeborene und innig von uns geliebte Tochter schon in der Lage sich durch ihr ausgeprägtes Sprachvermögen Ausdruck zu verschaffen und ihre Bedürfnisse klar zu formulieren. Außerdem hatte sie mit ihren damals vier Jahren schon so viele weitere Fähigkeiten erworben, dass sie ihrer kleinen Schwester auch dadurch sehr viel voraus hatte.
Unsere Erstgeborene freute sich sehr auf ihr Geschwisterchen. Wir hofften während der Schwangerschaft, dass sie dadurch gut für die Umstellung gewappnet war und sich die Eifersucht auf die kleine Schwester in Grenzen halten würde.
Wie haben wir uns als Eltern und wie hat sich unsere Erstgeborene in den ersten Wochen nach der Geburt verhalten?
Als ihre kleine Schwester im Sommer 2014 zur Welt kam, war die Freude bei uns allen natürlich sehr groß, auch bei unser Erstgeborenen. Sie begrüßte ihre kleine Schwester sehr zärtlich. Wir hatten ein Geschenk für unsere große Tochter mit ins Krankenhaus genommen, was wir ihr überreichten damit sie nicht eifersüchtig auf ihre kleine Schwester wurde, die von allen etwas mitgebracht bekam.
Dennoch drehte unsere Erstgeborene sehr auf und sprang in den ersten Wochen danach wie ein „Hüpfkäse“ durch die Gegend (Originalton meiner Hebamme, was von ihr nicht abwertend gemeint war, sondern von ihr beobachtet wurde). Mein Mann versuchte sie mir und der Kleinen etwas vom Laib zu halten und beschäftigte sich mit ihr, sobald sie so wild wurde und er Zuhause war.
Ich war offen gesagt ganz schön überfordert von diesem plötzlich auf mich so riesig wirkenden Kind. Nach der turbulenten Geburt mit ihrer neugeborenen Schwester brauchte ich physisch wie psychisch so viel Ruhe wie möglich. Oft war ich harsch zu unserer Großen, weil ich nicht mehr die Kraft hatte ihren Forderungen gerecht zu werden.
Da mein Mann bald nach der Geburt arbeitete und die Waldkita in den Sommerferien schloss, hatte ich beide Kinder drei Wochen allein Zuhause zu versorgen und zu bespaßen. Abends war ich oft sehr betrübt und machte mir Vorwürfe, weil ich mein Verhalten zwar reflektierte und es als ungerecht gegenüber unserer Erstgeborenen empfand, aber nicht wusste, wie ich mein Verhalten ihr gegenüber ändern konnte. Ich hatte nicht die Kraft, stets geduldig und liebevoll auf ihre gerechtfertigten Bedürfnisse einzugehen. Meine Liebe und Fürsorge wurde vom dem kleinen zarten Baby zeitweise vollkommen in Anspruch genommen. Da war wenig übrig für die große Tochter, die damals (und auch heute) mit ihren vier Jahren auch noch sehr abhängig von meiner Liebe und Unterstützung war. Ich war ziemlich verzweifelt, wie ich beiden gerecht werden sollte.
Gleichzeitig tat mir meine große Tochter, die vor der Geburt der Zweitgeborenen unheimlich leid. Ich fühlte mit ihr den Schmerz, nun das wichtigste der Welt mit ihrer kleinen Schwester teilen zu müssen. Ich war ja selbst einmal in der selben Situation wie sie, auch wenn ich mich nicht mehr daran erinnern kann, wie ich mich damals fühlte.
Wie hat sich die Geburt des Geschwisterchens auf unsere Erstgeborene in den Folgemonaten weiter ausgewirkt?
Als die Ferien vorbei waren und die Waldkita wieder losging hatte ich am Vormittag und Mittag Ruhe und Zeit nur für das Baby und mich. Entsprechend wurde es langsam besser und die Situation entschärfte sich. Es kam auch kein direktes Anzeichen für Eifersucht bei unserer Erstgeborenen gegenüber ihrer kleinen Schwester auf. Aber es gab Signale die zeigten, dass sich schon durch das Geschwisterchen bei unserer Erstgeborenen etwas verändert hatte. Und wenn ich damals das Buch von Jirina Prekop gehabt hätte, dann hätte ich diese Zeichen besser einordnen und mich entsprechend verhalten können. Sie fing zum Beispiel an wie ein Baby zu reden. Sie wollte, dass ich ihr beim Anziehen half, obwohl sie das schon selbst konnte. Sie bekam Trotz- und Wutanfälle. Da mein Mann und ich diese Zeichen nicht erkannten, zeigten wir damals wenig Verständnis für ihr damaliges Verhalten. Wir forderten sie schlicht auf, sich altersgemäß zu verhalten und rollten bei ihren Anfällen genervt mit den Augen. Das half ihr in keiner Weise weiter, was ich nach der Lektüre des Buchs nun erfahren habe und was natürlich auch so auf der Hand lag, ich aber damals nicht einsah.
Was mich damals stärker besorgte, waren die sich wiederholenden Fragen unserer großen Tochter, ob ich sie genauso lieb hätte, wie ihre Schwester. Natürlich bestätigte ich ihr, dass ich sie genauso liebte, aber das schien sie nicht zu überzeugen. Das stimmte mich sehr traurig und nachdenklich. Vielleicht hatte sie ja recht und ich liebte sie nicht so sehr wie die Kleine? War das möglich?
Wollte ich die Kleine vielleicht vor der Großen beschützen, weil ich selbst eine große Schwester bin, von der behauptet wurde, dass ich meinen jüngeren Bruder in der Kindheit und Jugend oftmals unterdrückte? Seit dem Lesen des Buchs von Prekop wage ich das allerdings anzuzweifeln. Vielleicht war es damals auch nicht so einfach für mich, die Liebe und Zeit meiner Eltern mit meinen Baby-Bruder zu teilen, der doch in meinen Augen blöd war, weil er doch noch gar nichts konnte.
Wie stellt sich die Situation unserer Erstgeborenen nach eineinhalb Jahren dar?
Mittlerweile hat sich der Rückfall ins Babyverhalten unserer Erstgeborenen wieder gegeben. Sie spricht nicht mehr wie ein Baby und die ständige verbale Bestätigung meiner Liebe zu ihr, fordert sie kaum noch ein.
Unsere Zweitgeborene ist seit einem halben Jahr in der Waldkita. Dies trägt sicherlich auch dazu bei, dass sich die Situation Zuhause erheblich gebessert hat. Denn es störte unsere große Tochter, dass sie in die Kita musste, wohingegen ihre Schwester bei mir Zuhause bleiben durfte. Direkter äußert sich nun auch ihre Eifersucht. Sie sagt ganz klar, wenn sie etwas ungerecht findet. Damit können wir als Eltern besser umgehen. Ich habe vor einer ganzen Weile damit angefangen, halbwegs regelmäßig einen Mutter-Große-Tochter-Tag einzuführen. An diesem Tag bzw. Nachmittag mache ich schöne Ausflüge mit meiner Erstgeborenen. Meine liebvolle Beziehung zu meiner Erstgeborenen hat sich schon vor einer ganzen Weile wieder eingestellt, was mich glücklich macht. Ich knuddel und küsse sie wieder häufig und verbringe mehr Zeit mit ihr. Abends bringe ich zum Beispiel erst die Kleine ins Bett und danach lese ich der Großen lange und eng umschlungen Geschichten im Bett vor und singe für sie.
Wenn mein Mann am Wochenende mal nicht da ist, machen wir uns beide Zuhause einen gemütlichen Abend mit Snacks und einem Film, den sie aussuchen darf.
Das alles habe ich auch bereits vor der Lektüre des Buchs „Erstgeborene“ getan. Dennoch habe ich nun ein anderes Verständnis für unsere große Tochter entwickelt und weiß nun, welches Verhalten wir als Eltern vermeiden werden. Wir beschwichtigen sie bei Eifersuchtsattacken zum Beispiel nicht mehr damit, dass sie doch Verständnis für ihre kleine und hilflosere Schwester haben und Rücksicht nehmen solle, sie doch schon so groß wäre und so viele tolle Sachen schon alleine könne. Wir vergleichen nicht mehr und wir fokussieren uns nicht mehr so auf ihre Leistungen (damit sie nicht den Eindruck bekommt, dass wir sie nur für ihre Erfolge lieben).
Bei Wutanfällen rollen wir (meistens) nicht mehr genervt mit den Augen, sondern nehmen sie einfach fest in den Arm und sagen ihr, wie lieb wir sie haben und dass sie unsere Erste ist. Das hilft oft Wunder, sie beruhigt sich rasch. Manchmal war die Ursache ihres Zorns vielleicht eine ganz andere, tiefer liegende Geschichte, die wir gar nicht bemerkten und der Auslöser – der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, ihres Wutanfalls nur eine Lappalie?
Dennoch tun wir jetzt und auch in Zukunft bestimmt noch einiges, was nicht dazu unbedingt beiträgt, dass unsere große Tochter ihre Rolle als Erstgeborene ständig als privilegiert zu empfinden. Das geht auch nicht, wir sind ja auch nur Menschen, die nicht ständig alles und jedes reflektieren können. Es ist schwierig, die Geschwisterposition für sie immer als Chance zu vermitteln. Aber wir arbeiten daran.
Momentan ist unsere Erstgeborene sehr fürsorglich ihrer kleinen Schwester gegenüber. Ich erfahre das zum Beispiel aus den Berichten von Eltern aus der Kita, die beobachten, dass unsere Große ihre kleine Schwester tröstet, wenn sie früher die Kita verlässt, weil sie zu einer Freundin mit nach Hause geht und eher abgeholt wird.
Gleichzeitig zeigt sie ihr auch die Grenzen auf, zum Beispiel, wenn sie etwas spielen möchte und sich von der kleinen Rabauken-Schwester gestört fühlt. Das finde ich auch völlig richtig. Hier sind dann wir als Eltern gefragt und müssen unserer Großen einen geschützten Raum zum Spielen oder Basteln schaffen.
Lektüre
Erstgeborene von Jirina Prekop
Infos über die Autorin
https://de.wikipedia.org/wiki/Jirina_Prekop
Geschwisterliebe – Geschwisterhaß: Die prägendste Beziehung unserer Kindheit von Marcel Rufo