Nach einer stürmischen Nacht, die wir in unserem Wohnmobil auf den Kalksteinklippen oberhalb des hübschen Orts Veules-les-Roses in der Haute Normandie (oberen Normandie) verbracht haben, fahren wir zur Basse Normandie (untere Normandie). Um dorthin zu gelangen, fahren wir weiter die Küstenstraße der Côte d’Albátre (Alabasterküste) entlang und streifen ihre hübschen Städtchen Saint-Valery-en-Caux, Sassetot-le-Mauconduit und Fécamp. Am liebsten würden mein Mann und ich überall anhalten und uns jedes Örtchen ansehen. Doch leider sind die französischen Dörfer nicht unbedingt auf große Wohnmobile eingerichtet. Für längere Spaziergänge von einem Parkplatz in den Ort haben wir leider nicht die nötige Zeit. Wir haben nämlich das Ziel in unserem Urlaub noch bis zum Utah Beach zu kommen und dort ein paar Tage zu verweilen. So ist das halt im Urlaub. Auch mit einem Wohnmobil mit dem wir ansonsten ja sehr flexibel sind. Aber eine Entscheidung gegen einen Ort bedeutet gleichzeitig auch ein Ja für einen anderen Ort!
Die Route auf der Landstraße ist traumhaft. Wir überholen ein Paar, das mit Packtaschen auf einem Tandem unterwegs ist. Chapeau! Unsere Kleine ist quengelig und findet während der Fahrt leider nicht in ihren üblichen Vormittagsschlaf. Seltsam. Hoffentlich ist da nichts im Busch. Wenn sie nicht schläft wird unser Besuch eines Orts im Département Seine-Maritime, der für seine majestätischen Kalksteinfelsnadeln berühmt ist, kein großes Vergnügen.
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Stop-Over in Sissis Seebad
In Étretat, wo im August und September 1875 die österreische Kaiserin Sissi badete, machen wir Halt. Für Wohnmobile und PKWs gibt es oberhalb des Seebads an einem alten Bahnhof einen Parkplatz. Wunderbar, für drei Euro können wir einen Tag hier stehen.
Die müde Kleine wird auf den Schultern, vorbei an einem kleinen Soldaten- und Zivilistenfriedhof mit zahlreichen kanadischen Grabsteinen, in den Ort vom Papa hinunter getragen. Teilweise mittelalterlich wirkende Häuser sowie weitere historische Fachwerkhäuser säumen die Straße. Je näher wir dem Zentrum kommen, desto voller wird es. Am Marché Couvert, wo in einer schönen alten Markthalle allerlei Nippes feil geboten wird, tobt fast schon der touristische Mob. Wir essen hier leckere Fritten mit einer fantastischen leicht scharfen Mayonnaisse Sauce und Eis zum Mittagessen.
Auf der Promenade am Meer sprüht uns die Gischt entgegen und weht unsere letzten Frittenkrümel vom Hemd. Die Restaurants schützen ihre Gäste mit Glasscheiben vor dem Sprühnebel. Wir können uns entscheiden, ob wir entweder links zum 83 Meter hohen berühmten Kalkbogen „Falaise d’Aval“ oder rechts zum pfeilartigen Denkmal und der beiden Flugpioniere Charles Nungesser und Francios Coli (sie sind hier am 8.5.1927 bei ihrem Versuch der ersten Nordatlantiküberquerung das letzte Mal gesichtet worden…) gehen.
Wir entscheiden uns für die Felsen. Oben angelangt, genießen wir den fantastischen Panoramaausblick auf die Felsnadel und die Bucht von Étretat. Hinter uns liegt an Land ein grandios gelegener Golfplatz. Unsere sechsjährige Tochter hüpft wie eine junge Geis die Pfade entlang bis es nicht mehr weiter geht. Unsere zweijährige Tochter ist missmutig, weil sie ihren Mittagsschlaf verpasst hat, lässt sich aber von ihrem Papa doch motivieren den Fernwanderweg GR 21 hinauf zu steigen damit sie gemeinsam mit ihrer Schwester durch ein Felsloch gucken kann.
Open Air Lesestube
Der Abstieg ist dann kein Problem mehr. Unten an der Promenade werden in einer Minibibliothek (französische) Bücher zum Lesen am Strand oder in den bereit gestellten Liegen angeboten. Tolle Idee, aber französische Bücher sind uns jetzt zu anstrengend. Deshalb lesen wir stattdessen die englischen Texte der Informationstafeln, die an dem ehemaligen Bunker und den Bootshäusschen angebracht sind. Die Texte verraten, dass an der Bucht früher herrschaftliche Hotels standen, die traurigerweise dem Atlantikwall weichen mussten. Rommel ließ sie zur Zeit des 2. Weltkriegs abreißen, um aus den 19 errichteten Bunkern freie Sicht und Schuss aufs Meer zu haben. Am Strand der Bucht wurden sage und schreibe 1.500 Minen vergraben. Ein Wahnsinn. Unfassbar.
Wir brauchen Bass, Bass, Basse Normandie
Alle angeschnallt? Es geht weeeeiteeeer in südliche Richtung von der Haute Normandie über die Hafenstadt mit Weltkulturerbestatus, Le Havre, in die Basse Normandie. Um dorthin hin zu gelangen, fahren wir einmal unfreiwillig am Fußballstadion von Le Havre vorbei, weil wir uns verfahren. Das Stadion sieht, wenn man es böswillig ausdrücken möchte, aus, als wenn es in eine blaue Mülltüte verpackt wurde.
Mit dem Wohnmobil im Schneckentempo über Europas längste Schrägseilbrücke
Wir kommen wieder auf die richtige Spur und überqueren wir die spektakuläre Schrägseilbrücke „Pont de Normandie“, die sich in einem 856 Meter langen großen Bogen schwungvoll über die Seine spannt. Unser Wohnmobil nimmt Anlauf. Mit 90 Kilometer pro Stunde fahren wir die mutpflichtige Brücke hinauf. Doch je steiler es wird, desto mehr muss sich unser Wohnmobil anstrengen: 80, 70, 60, 50 und am Ende schleichen wir uns mit 40 Kilometern pro Stunde die Brücke hinauf. Zum Glück schaffen wir es dennoch ohne Schieben über die Seine. Oben angekommen zeichnet sich links und rechts der Brücke ein sehr gegensätzliches Bild ab. Einerseits scheint hier die Erdölverarbeitung angesiedelt zu sein und andererseits beginnt hier der „Parc Régional de Brotonne“, das sich fast bis nach Rouen erstreckt. Interessante Kombination.
Auf der Suche nach einem Stellplatz in der Calvados Region
Wir sind uns heute noch nicht sicher, wo wir über Nacht stehen möchten. In Deauville, das Seebad der Reichen und Schönen, suchen wir einen Stellplatz und als wir ihn finden, ist er bereits voll. Er ist für die Größe des Orts auch viel zu klein. Wir fahren weiter. Dann übernachten wir eben auf einen Campingplatz. Aber der nächste ist leider weiter weg.
Zum Glück haben wir neben dem ADAC Campingplatz Führer auch noch den aktuellen Guide von France Passion dabei. In der Broschüre sind zahlreiche Bauernhöfe und Winzer und Wohnmobilfreunde in ganz Frankreich aufgelistet, die Campern für 24 Stunden einen kostenlosen Stellplatz bieten und ihnen Produkte aus eigener Herstellung anbieten. Der Handel ist keine Bedingung. Es bietet sich aber natürlich an, dass man Wein, Saft, Käse, Eier, Marmelade und andere Leckereien direkt beim Erzeuger ersteht. Authentische Mitbringsel für die Lieben daheimgebliebenen Freunde und Verwandten und auch für sich selbst sind somit auch gleich erledigt. Während unserer Südfrankreich Wohnmobiltour 2015 konnten wir mit dieser Art des Reisens sehr schöne und persönliche Erfahrungen sammeln. Ich blättere also fieberhaft in dem bilingualen Etappenführer nach einem netten Gastgeber herum. Bald finde ich wir eine Calvados Destillerie, die näher an unserer heutigen Route als der Campingplatz liegt. Très bien!
Im Land wo Cidre und Calvados fließen
Wir tuckern frohen Mutes durch die Basse Normandie. Kühe der Rasse Pie Normande liegen im fetten grünen Gras. Jagdvögel ruhen sich auf Zaunlatten sitzend aus. Hunderte knorrige Apfelbäume tragen kleine Äpfelchen unterschiedlichster Colour an ihren Ästen. Die Region ist berühmt für ihren Calvados und Cidre, das können wir jetzt erahnen und hoffen in wenigen Minuten selbige auch probieren zu können.
Nach 220 Tageskilometern erreichen wir am frühen Abend den idyllischen Hof von Madames und Monsieur Desvoye in Beaufour Druval. Ein Hund begrüßt uns freundlich. Madame zeigt uns den Stellplatz für Reisende. Dort, wo normalerweise die Kühe sauber gespritzt werden, dürfen wir heute Nacht bleiben. D’accord.
Die jungen Kühe grasen uns gegenüber auf einer satt grünen Wiese. In der Scheune kaufen wir ein paar Flaschen Apfelsaft für die Kinder und Cidre für uns. Den Buddelkasten und die Schaukel der Enkelkinder dürfen unsere Mädchen gerne benutzen. Auch ein WC steht Gästen zur Verfügung. Unser Frischwasser können wir ebenfalls auftanken. Wir sind happy so freundliche Gastgeber gefunden zu haben.
Adressen und weitere Informationen
Pont de Normandie
Mautgebühr: 6,30 Euro
www.pontsnormandietancarville.fr
Étretat
Stellplatz Cave Desvoye
Chemin de la Cour Aux Gris
à saint-Aubin-Lébizay
14340 BEAUFOUR-DRUVAL
Tel/Fax : 02 31 65 11 94
GPS: N 49.20779 W 0.00908
Öffnungszeiten:
täglich von 9-12.30 Uhr, 14-19 Uhr
Reise- und Etappenführer für Wohnmobilreisen
„Mit dem Wohnmobil durch die Normandie“ (Womo-Reihe), Taschenbuch„DuMont direkt Reiseführer Normandie“, Taschenbuch, „Mit dem Wohnmobil nach Nordfrankreich“ (Womo-Reihe), Taschenbuch,„Tourenführer Frankreichs Norden mit dem Wohnmobil“,
ADAC Campingführer Südeuropa mit herausnehmbarer PlanungskarteADAC Stellplatzführer Deutschland/Europa mit zwei herausnehmbaren PlanungskartenEtappenführer France Passion